08.05.2024
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Kirschenhof: Das neue „Haus der Geschichte“ öffnet erstmalig seine Türen

Am vergangenen Wochenende öffnete der Kirschenhof als neues Haus der Geschichte und Kultur erstmalig seine Türen für die Öffentlichkeit.

 

TEIL 1: DAS NEUE HAUS DER GESCHICHTE

Bis ins Mittelalter reichen die Ursprünge des Kirschenhofs zurück. Wo einst das Rittergut derer von Steffens beheimatet war, fand am vergangenen Sonntag der große Paukenschlag statt. Das „Haus der Geschichte“ wurde anlässlich des Tags der Städtebauförderung der Öffentlichkeit vorgestellt.

„Treten Sie ein!“: Bürgermeisterin Nadine Leonhardt und der Technische Beigeordnete Hermann Gödde luden dazu ein, das neue „Haus der Geschichte und Kultur“ zu begutachten und bei einem Rundgang kennenzulernen. Erhebliche Verzögerungen mussten hingenommen werden, nachdem im Kirschenhof im Dezember 2020 ein hoher Befall vom Hausschwamm festgestellt wurde und im Juli 2021 die Flut-Katastrophe Eschweiler heimsuchte. So erstreckte sich die Bauphase über 56 Monate.

Im Juni 2019 ging es los. Rund ein halbes Jahr zuvor konnte die Öffentlichkeit den Kirschenhof während der Kunstveranstaltung „ArtOpen“ erkunden, als noch alles in seinem ursprünglichen Zustand war. Zu diesem Zeitpunkt stand der geschichtsträchtige Gebäudekomplex vier Jahre lang leer, denn bis 2014 war ein medizinisches Unternehmen mit Laboren hier ansässig.

„Heute schließt sich der Kreis“, freute sich der Technische Beigeordnete bei der Vorstellung nicht ohne Grund. Denn ungefähr genauso lange, wie Hermann Gödde für die Stadt Eschweiler tätig war, arbeitete er beim Eschweiler Bergwerksverein, der das wohl bedeutendste Kapitel des Kirschenhofes darstellt. Während Familie Lehnen den an der Peter-Paul-Straße und Parkstraße gelegenen Gebäudeteil erwarb und in diesem moderne Wohnungen errichtete, wurde der an der Dürener Straße gelegene Teil Eigentum der Stadt Eschweiler. Diese erwarb das Gebäude im klassizistischen Stil im April 2019. Drei Monate später erfolgte der Baubeginn. Bis zur Fertigstellung im März 2024 waren zahlreiche Handwerker-Betriebe beteiligt. Diese finden Sie auf den Sonderseiten der aktuellen Printausgabe: zur Printausgabe.

 

TEIL 2: FEIERLICHE VORSTELLUNG

Zwar fehlte bei der feierlichen Vorstellung noch das Mobiliar, doch das „Haus der Geschichte“ erstrahlte im neuen Glanz. Und so war die Spannung besonders mit Blick auf die fertiggestellten Innenräume groß. Bürgermeisterin Nadine Leonhardt begrüßte zahlreiche Vertreter aus Gesellschaft und Politik und bezeichnete den neuen Kirschenhof als Ort der Erinnerung und der Zukunft. Denn: Das Gebäude hat eine reiche Geschichte vorzuweisen und bildet ein Stück weit Eschweilers einmalige historische Entwicklung ab. Dazu zählt auch der Eschweiler Bergwerksverein und die Wiege der rheinischen Kohleindustrie. So war es für die Stadt ein Herzensanliegen, den Kirschenhof als „Geschichtshaus“ zu erhalten. Die ersten Überlegungen begannen unter Federführung von Hermann Gödde und dem damaligen Bürgermeister Rudi Bertram im Sommer 2016.

Ort der Erinnerung
Das „Haus der Geschichte und Kultur“ soll daher zum einen Ort der Erinnerung werden. Der Eschweiler Geschichtsverein (EGV) wird Nutzer des Erdgeschosses. Bereits vor der vollständigen Einrichtung ist das Flair eines Museums spürbar. Bis September, wenn die offizielle Einweihung des gesamten Gebäudes anlässlich des 50. Geburtstags des Geschichtsvereins stattfinden soll, wird im Erdgeschoss das Mobiliar für das umfangreiche Museumskonzept errichtet. Der große und lichtdurchflutete Ausstellungsraum „Stadt Land Fluss“ bildet dabei das Herzstück des Konzepts. Ein Empfangsraum mit digitalen Arbeitsplätzen dient als Startpunkt dazu, Besuchergruppen und insbesondere Schulklassen zu begrüßen. Darüber hinaus bietet der EGV einen Raum mit interaktiven Elementen speziell für Kinder im Grundschulalter und kann das Erdgeschoss als Archiv nutzen.

Ort der Zukunft
Zum anderen wird der Kirschenhof ein Ort der Begegnung im Jetzt und des Austauschs für die Zukunft. Das Obergeschoss wird hauptsächlich von der Stadt Eschweiler genutzt. Ein großer Raum bietet Platz für 50-100 Personen. Feste und repräsentative Veranstaltungen, darunter Ausstellungen, Lesungen und Matinées, sind hier möglich. Zudem wird Eschweilers Standesamt mit einer neuen Außenstelle vertreten sein. Das „Haus der Geschichte wird also ein Ort für „Jung und Alt“, wie es der Technische Beigeordnete formulierte. Die Freude war bei den Besuchern groß. Getränke und kleine Snacks wurden gereicht, während ein Dixie-Quartett die Feier musikalisch untermalte. Die Ausstellung „Meine neue Heimat“ von Raphael und Marina Kamp wurde zudem präsentiert.

 

TEIL 3: DENKMALPFLEGE SCHÜTZT HISTORISCHES

„Ohne Bund und Land würden wir heute nicht hier stehen“, waren sich Bürgermeisterin Nadine Leonhardt und Hermann Gödde bei der feierlichen Öffnung einig. Denn ein beachtlicher Teil der Kosten wurde durch die Städtebauförderung getragen. Wie hoch genau die Investitionskosten waren, wird aktuell noch ermittelt. 

Fest steht jedoch: APB Architekten, das Team der städtischen Denkmalpflege und die zahlreichen beteiligten Handwerksbetriebe haben den Spagat geschafft. Zum einen wurden alte Bauelemente wie Fenster, Eingangsportal, die geschwungene Treppe zwischen Erd- und Obergeschoss sowie Holzvertäfelungen und eingelassene Vitrinen, erhalten und aufwändig restauriert. Zum anderen wurde die Gebäudetechnik modernisiert. Die Besucher haben das Gefühl, in einem rundum erneuerten Haus zu stehen, das an historischem Charme nicht verloren hat. Ein Hingucker ist dabei ein gläserner Aufzug, der die Etagen miteinander verbindet und zur Barrierefreiheit beiträgt.

Der Umfang der Arbeiten wurde am vergangenen Sonntag vor allem bei den geführten Gängen mit Wolfram Backes von der Denkmalpflege deutlich. Der städtische Mitarbeiter berichtete, dass einige Mängel erst nach Beginn der Baumaßnahmen festgestellt wurden. So mussten alle Strom- und Wasserleitungen entfernt und neu verlegt werden. Wöchentliche Teambesprechungen zwischen Denkmal- und Hochbauamt sind aufgrund des Alters und der Komplexität des Gebäudes notwendig gewesen. Bei den Führungen gab Wolfram Backes zahlreiche Informationen zur vielfältigen Geschichte des Kirschenhofs, der sich im Laufe der Zeit mehrfach verwandelte.

 

TEIL 4: DIE REICHE GESCHICHTE DES KIRSCHENHOFS

Die ersten Teile des heutigen Kirschenhofs wurden bereits im Jahr 1838 erbaut, doch die Geschichte des „Standorts“ reicht viel weiter zurück. Im Mittelalter befand sich hier das Rittergut derer von Steffens. Nach einem großen Brand wurde an der Dürener Straße ein barocker Neubau mit angeschlossener Hofanlage errichtet. Im 17. und 18. Jahrhundert befand sich das Anwesen im Eigentum der adeligen Familie Wolff Metternich, ehe die Familie von Johann Peter Wültgens im Jahr 1783 Besitzer wurde. Der Landwirt erhielt als Entschädigung eines Vertrags für die Kinzweiler Burg Abbaukonzessionen für Steinkohle auf Eschweiler Gebiet.

Der Bergbau gewann und die Landwirtschaft verlor zunehmend an Bedeutung. Aus der Familie Wültgens stammt die berühmte Christiane Wültgens. Sie heiratete Carl Englerth, der von 1800 bis 1814 erster Eschweiler Bürgermeister war. Nach dem Tod ihres Mannes übernahm Christiane Englerth im Jahr 1814 die Geschäfte. Dabei legte sie den Grundstein für die erste preußische Aktiengesellschaft, den Eschweiler Bergwerksverein. Damit wurde die industrielle Phase des Steinkohleabbaus in Eschweiler und Umgebung eingeleitet. In der Folge siedelten sich zahlreiche metallerzeugende und -verarbeitende Betriebe an. Somit kann der Kirschenhof als Stammsitz eines Unternehmens bezeichnet werden, welches für die industrielle Entwicklung der Region im 19. und 20. Jahrhundert von herausragender Bedeutung war.

1839 wurde das Haupthaus des Kirschenhofs intensiv umgebaut. Dabei erhielt das Gebäude seine bis heute erhaltene klassizistische Fassade. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der Komplex aufgrund der neu angelegten Parkstraße gekürzt. 1909 zog eine Bank in das Gebäude ein. Aus dieser Zeit stammen auch die Gitter vor den Fenstern im Erdgeschoss sowie die beiden Tresorräume im Erdgeschoss.

Ein weiterer Nutzer-Wechsel folgte zum Ende der 1930er-Jahre. Die Braunkohlen-Industrie-AG Zukunft erhielt hier ihren Hauptsitz, ehe in den 60er-Jahern ein Papier-Großhandel einzog. Dieser ersetzte den an der Peter-Paul-Straße gelegenen Teil durch einen Neubau. Seit 1985, als der Kirschenhof in die Denkmalliste der Stadt Eschweiler aufgenommen wurde, wurde der Gebäudekomplex als medizinisches Labor genutzt. Dieses stellte schließlich im Jahr 2014 seinen Betrieb in der Dürener Straße ein.

 

Manuel Hauck